Wilde Karte #08 Finalist: Dorsa + 820

Das Zürcher Architekturkollektiv dorsa + 820 verknüpft Baukultur mit Kunst und Forschung. Im Fokus seiner Arbeit: das Leben auf einem Planeten im Umbruch.

Errex-Regal und Styroporcutter, Egon-Eiermann-Tische und dazu passende Drehstühle: Was sich hinter der schlichten Glastür im Erdgeschoss eines Zürcher Blockrandgebäudes befindet, mutet wie das Interieur eines klassischen Architekturbüros an. Doch genau dies will das hier beheimatete Kollektiv mit dem kryptischen Namen dorsa + 820 nicht sein.

Am Anfang der Geschichte steht die ETH Zürich: Hier kreuzten sich die Wege der fünf weitgereisten Architekturstudenten Yufei He, James und Lewis Horkulak, Pan Hu und Nicolas König. Die Bekanntschaft verdichtete sich über die Jahre zu einem vielschichtigen Beziehungsnetz – James und Lewis sind Brüder, Yufei und Lewis wohnen zusammen; James, Pan und Yufei kollaborieren unter dem Namen ‹dorsa›, Nicolas und Lewis heissen als Duo ‹820›. Der Zusammenschluss folgte auf den ersten gemeinsamen Wettbewerbserfolg: 2024 setzten sich die fünf im offenen Projektwettbewerb für die Erweiterung der Schulanlage ‹im Sand› in Visp gegen 58 Konkurrentinnen und Konkurrenten durch.

Wilde Karte #08 Finalist Dorsa+820

Die Ausführungsplanung für den Holz-Beton-Hybridbau, der eine Grundschule für 17 Klassen und einen Doppelkindergarten sowie Kantine, Aula und Doppelturnhalle unter einem Dach vereint, beansprucht heute den Grossteil der gemeinsamen Arbeitszeit von dorsa + 820. Vollständig ineinander aufgegangen sind die zwei Büros aber nicht. Man könne sich dorsa + 820 als Mutterschiff und die beiden Entitäten als Raumsonden vorstellen, übersetzt Lewis Horkulak ihr Zusammenwirken in ein Bild. Die Raumsonden bieten Freiräume für individuelle Erkundungen, die die Architekten oft bis weit in die Sphären von Forschung und Kunst, Experiment und Fiktion führen. Im Mutterschiff fliessen die Kräfte zusammen. Der gemeinsame Kompass: ein Interesse am Ort eines Projekts, das weit über den baukulturellen und sozialen Kontext hinausgeht und beispielsweise auch die lokale Flora und Fauna oder die Geologie einschliesst. Und der Anspruch, mittels Architektur Vermittlungsarbeit zu leisten.

Aus der Unsicherheit schöpfen

Beim Schulhaus in Visp nimmt dieser Anspruch unter anderem die Form zweier aussenliegender Türme an: Der «Biotopturm», eine Aussentreppe mit übergrossen Podesten auf der einen Gebäudeseite, ermöglicht Gruppenunterricht in den Baumkronen. Der «Wintergartenturm» auf der anderen Gebäudeseite verspricht angewandten Naturkundeunterricht, in dessen Rahmen Schulkinder Regenwasser sammeln oder Pflanzen ziehen und auf diese Weise Naturkreisläufe beobachten und verstehen lernen.

Wilde Karte #08 Finalist Dorsa + 820

Überhaupt kreisen die Arbeiten von dorsa + 820 immer wieder um Natur- und Umweltprozesse, seien es Wanderbewegungen von Menschen, Pflanzen und Tieren, sei es das Artensterben oder die Eisschmelze. Zum Beispiel beim Wettbewerbsentwurf für den Teilersatz der Refuge des Bouquetins, einer SAC-Schutzhütte in den Walliser Alpen, die aufgrund des schwindenden Permafrosts allmählich absinkt. dorsa + 820 begegnen dem unsicheren Baugrund mit einem System aus einem zentralen Eingangsturm als Anker und drei radial weglaufenden Flügeln, die stabilisierend wirken wie die Ausleger eines Boots. Den Eingangsturm fügen sie aus Steinen, die der Permafrost freigibt. Die bestehende Hütte von 1991 integrieren sie als einen der drei Flügel ins neue System.

Wilde Karte #08 Finalist Dorsa + 820

Die futuristische Hütte erinnert unweigerlich an eine Raumstation, die wie auf einem fremden Planeten einsam im Eis sitzt. Hier schliesst sich der Kreis zum Mutterschiff und seinen Raumsonden. Ein Sinnbild für die Bürostruktur und -philosophie von dorsa + 820: Wer sich mit den Unsicherheiten in der heutigen Zeit nicht bloss arrangiert, sondern sie konfrontiert und aus ihnen schöpft, findet vielleicht nicht nur zu neuen Ausdrucksformen, sondern auch zu neuen Formen der Zusammenarbeit.

In Zusammenarbeit mit Hochparterre und MHZ Hachtel & Co AG.

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